Geblendet by Pflüger Andreas

Geblendet by Pflüger Andreas

Autor:Pflüger, Andreas
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Aaron, Abteilung, Berlin, Blue Ridge Mountains, Budhismus, Budo, Bushido, Cascais, Der Glöckner von Notre-Dame, Endgültig, Jenny, Karate, Kyusho, Niemals, Notre-Dame, Paris, Pavlik, Portugal, Rügen, Virginia, Zen
Herausgeber: Suhrkamp Verlag
veröffentlicht: 2019-06-18T16:00:00+00:00


19

Ihr Leben lang konnte sie nicht gut warten. Bei der Einschulung musste Inan mit den anderen Erstklässlern vor dem Direktor Aufstellung nehmen. Alle Eltern waren dabei, ihre eigenen ernst und stolz, Inan skeptisch, die Riesentüte mit dem Naschzeug fest im Griff. Der Direktor verkündete, dass sie von nun an keine Kinder mehr seien, sondern Schulkinder, also etwas völlig anderes, weil Lernen mit Spielen überhaupt nichts zu tun habe. Aber sie müssten davor keine Angst haben, im Gegenteil: Lernen sei die tollste Sache der Welt und ein großes Abenteuer. Das fand Inan so aufregend, dass sie, als der Direktor sich am Ende seiner sehr langen Rede erkundigte, ob jemand eine Frage habe, blitzschnell die Hand hob und wissen wollte, wann der Unterricht endlich anfange.

Zwanzig Jahre später absolvierte sie an der Polizeihochschule die Abschlussprüfung und wusste nach zwei wachen Nächten, dass sie die vierzehn Tage bis zur Bekanntgabe der Ergebnisse niemals überstehen würde. Eine Freundin war mit einem fusselbärtigen Informatikstudenten vom Chaos Computer Club zusammen, dessen üblicher Tarif eine Flasche Single Malt war. In seiner nach nasser Wäsche riechenden Bude hackte er sich in den Hochschulrechner ein. »Wenn du durchgefallen bist, kann ich das ganz easy ändern«, sagte er zu Inan. Doch das wäre für sie nicht infrage gekommen. Sie war entschlossen, jedes Urteil zu akzeptieren, auch das gnadenloseste, und die Prüfung notfalls zu wiederholen, zu lernen wie nie zuvor in ihrem Leben. Dann sah sie die Note, und ihr Herz tanzte Rock ’n’ Roll. Sie war die Jahrgangsbeste.

Kurz nachdem sie Chef‌in der Dortmunder Mordkommission geworden war, kam ein siebzehn Jahre zuvor verurteilter Serienvergewaltiger frei, der erfolgreich gegen seine Sicherungsverwahrung geklagt hatte. Demirci ließ ihn observieren. Er saß jeden Tag am Flussufer, sah Joggerinnen hinterher, ein Gesicht wie eine Totenmaske. Nachts dröhnte er sich in seiner Wohnung mit Death Metal voll. Nach einigen Wochen wurde Demirci vom LKA angewiesen, die Observation einzustellen, man könne es dem Steuerzahler nicht länger vermitteln. Ab da joggte sie jeden Abend am Fluss und trug knappe Shorts, obwohl bereits Herbst war. Wieder vergingen Wochen. Dann hatte sie seinen Atem im Nacken. Er wollte sie in ein Gebüsch zerren. Sie lähmte ihn mit einem Bullenschocker und zerquetschte seine Hoden zwischen zwei Steinen. Der Mann wurde für immer weggeschlossen, an dem Tag geht sie jedes Jahr schön essen.

Jetzt sitzt sie seit geschlagenen acht Minuten im Vorzimmer der Bundeskanzlerin und weiß, was Lissek ihr mitgab: »Jemanden in Ihrer Position darf man höchstens zehn Minuten warten lassen. Jede Sekunde mehr heißt: Sie sind erledigt.«

Die ganze Zeit denkt Demirci an die Besprechung eben, an den Moment, als Lennard Palmer sagte: »Alles weist auf einen natürlichen Tod hin.«

Und er sah sie nicht an.

Demirci war wie betäubt. Sie hatten abgesprochen, dass er die Fotos aus Cascais auf den Tisch legt, Svobodas Treffen mit Zankov und Sposato, dass er, ohne die Rolle der Abteilung zu erwähnen, alles raushaut, was sie wissen. Es war allemal genug, um Svobodas Leiche ans Kreuz zu nageln.

Palmer murmelte: »Ein großer Verlust für unser Land.«

Und er sah sie nicht an.

Sie wollte ihm widersprechen.



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